Immer im Stress: Bild-Chefredakteur Julian Reichelt (li.) © Christoph Michaelis

Bildet euch eure Meinung!

Die Dokumentation „Bild.Macht.Deutschland?“ liefert erhellende Einblicke in den Journalismus. 

Vor 43 Jahren war er „Der Mann, der bei Bild Hans Esser war.“ Vier Monate „Schwerstarbeit“, weil er, Günter Wallraff, hier einem „Schmutz ausgesetzt war, wo man keine Distanz, keine Abwehrmechanismen mehr hat.“ Immerhin, der Erfahrungsbericht des Investigativreporters wurde unter dem Namen „Der Aufmacher“ ein Bestseller. Die aufgedeckten journalistischen Versäumnisse sollten auch filmisch in der Dokumentation „Informationen aus dem Hinterland“ ihren Platz bekommen. Zu einer Ausstrahlung kam es jedoch nicht, weil der Axel-Springer-Verlag Protest einlegte.

Ganz anders liegt der Fall nun bei „Bild.Macht.Deutschland?“, einer siebenteiligen, von der Münchner Firma Constantin Entertainment für den Streaming-Riesen Amazon Prime produzierten Serie. Hier wird im Pressetext gleich vollmundig versprochen, dass die Zuschauer „noch nie dagewesene Einblicke in die Bild-Redaktion“ bekommen. Und im Gegensatz zu anderen, an Werbefilme erinnernde, oberflächliche Dokumentationen wie über den Fußballclub Borussia Dortmund bleibt es tatsächlich nicht bei einem leeren Versprechen. Was wohl auch an den Protagonisten selbst liegt, dem nicht gerade kamerascheuen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt und seinem Vize Paul Ronzheimer. Die Serie versucht dabei den krawalligen Ruf der Boulevardzeitung filmisch zu doppeln. Mit reißerischer Actionfilm-Musik werden die Bilder unterlegt, die Kamera immer in Bewegung, auch wenn sich die gleißenden Drohnen-Aufnahmen des Springer-Gebäudes irgendwann abnutzen. Trickreicher ist dann die Erzählweise. Einen erklärenden Kommentar aus dem Off gibt es nicht, jedes neue Thema, jeder neue Handlungsstrang wird in knalliger Bild-Typographie auf Gebäude gesetzt, während die beteiligten Reporter dann nicht ganz uneitel selbst zu den Erzählern, den Protagonisten werden.

Wer kaum zu Wort kommt, sind hingegen die Kritiker der Bild. Dabei mangelt es hier nicht an Auswahl. Doch statt Experten wie Stefan Niggemeier (BILDblog) oder Sascha Lobo kommt nur ab und an ein zart kritisches Wort aus der SPD-Fraktion wie von Generalsekretär Lars Klingbeil („Mein Verhältnis zur Bild: Es ist kompliziert“). Das Fehlen dieser zweiten, kommentierenden Ebene hat aber auch einen Vorteil. Denn wo sonst bekommt der Zuschauer die Möglichkeit, hautnah an Redaktionskonferenzen teilzunehmen, in denen sich der dauernd unter Strom stehende Kettenraucher Julian Reichelt minutenlang über den „komischen Wuschelkopf“ Christian Drosten echauffiert

Überhaupt ist die von März bis September reichende Doku auch eine Chronologie des Jahres 2020, des medialen Abarbeitens am Dauerthema Corona. Man ist vor Ort im leergefegten, Pandemie geplagten Bergamo, begleitet Diskussionen über mögliche Geisterspiele und versteht die Schwierigkeit, exklusive Geschichten von Reportern zu bekommen, wenn doch alles geschlossen hat. „Bild.Macht.Deutschland?“ bietet auch spannende Einblicke in die Veränderungen des Journalismus, die Konsequenzen eines harten Stellenabbaus und die Millionen verschlingende Neuausrichtung auf Bild Live, einer Dauernachrichten-TV-Sendung. Bezeichnend ist dabei das Selbstverständnis der Bild-Macher, mit den wahren Machern, den Politikern, auf Augenhöhe sein zu wollen (Ronzheimer: „Den Sebastian Kurz kenne ich gut. Ich hab auch seine erste autorisierte Biografie geschrieben“), sowie auf alles nicht nur eine, sondern die eine Antwort zu haben (Ronzheimer: „Wir gehen dahin, wo andere weg wollen.“).

Und auch wenn der Reihe in den beiden letzten Folgen ein wenig die Puste ausgeht, so bleibt doch immer das Gefühl, mittendrin zu sein im Maschinenraum der Bild, bei den Blattmachern, den Reportern, den VJs. Und wenn man einen wie ein kleines Kind strahlenden Julian Reichelt dabei beobachten kann, wie er eine Razzia auf die Hisbollah begleiten darf, oder einen Paul Ronzheimer, wie er in der Ukraine tief bewegt mit Kriegsopfern spricht, versteht man auch, dass hier an der Spitze Menschen am Werk sind, die ihren Beruf so lieben, so verinnerlicht haben, dass für sie ein Leben außerhalb des Verlags kaum denkbar scheint.

Florian Koch


Alle sieben Folgen ab 18. Dezember auf Amazon Prime

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